Am Anfang des Scheiterns |
Dritte Koeppen-Nacht auf Schloss Griebenow |
Griebenow
Ein großes Kompliment für Wolfgang Köppen, den Sohn Greifswalds. Allerdings: Köppen ist ein Autor den es noch zu entdecken gilt, einer der Großen, die wenig gelesen werden. So die Einschätzung von Stefan Plaser, der die Podiumsdiskussion bei der dritten Koeppen-Nacht am Sonnabend moderierte. Und so auch die Meinung vieler Gäste auf Schloss Griebenow, dessen Saal gar nicht alle Literaturinteressierten fassen konnte. Übers Anlesen ist so mancher bei Koeppen nicht hinausgekommen. Aber er regt an, hält einen fest. Mag Koeppen nicht die ideale Strandlektüre geschaffen haben, gelesen ist sein Werk ein Genuss. Zumal wenn der Schauspieler Jürgen Holtz den Buchstaben mit seiner Stimme Leben einhaucht. Dem einen Tag im München des Jahres 1949, an dem der Roman spielt, Realität vor dem inneren Auge verleiht. Einer Welt, in der die gerade aufgegangene Wirtschaftswundersonne im Osten schon wieder unterging, in der alle Sinne nach den Schrecknissen des Krieges Lust suchten, wie es Wolfgang Koeppen selbst beschrieb. Eine Welt, in der alte Vorurteile noch galten, und die voller Kälte ist. Beschreibung deutscher Wirklichkeit, die viele von denen, die aus dem zertrümmerten Land mit ihrem Fleiß Neues schufen, gekränkt hat. Kulturkrise im ersten Teil von Koeppens Trilogie des Scheiterns. Holtz hat dem Pessimismus der Modernen Plastizität gegeben. So, wenn am Ende der Lesung auf die Feststellung, dass noch Hoffnung sei, die Antwort lautet: Es gibt keinen Krieg vor dem Herbst, und Holtz endete schlicht mit „Ich danke ihnen“.
Minuten langer Beifall dankte ihm bei
der letzten Koeppen-Nacht dieser Art. Für weitere Hörerlebnisse sorgte im
Anschluss Ursula Schoene-Makus in der Bibliothek mit Texten aus Koeppens
Nachlass. Mit der kultigen Gruppe Schaftl Ufftschik setzte ein alter Bekannter
im Saal musikalische Akzente. Spät in der Nacht war des Meisters Stimme selbst
zu hören: Sein Kommentar zu Peter Goedels Film „Es war einmal in Masuren“,
der an Originalschauplätzen der Kindheit des Schriftstellers gedreht wurde.E.
Ob.
Letztes Kapitel einer Triologie |
Ein Menschenleben zwischen Koeppen und Ortelsburg |
Kultur pur. Ein Abend der Sinne. Musik für Geist
und Seele. Buchpassagen, Film, Lesungen und Gespräche. So sieht sie aus, die
letzte Koeppen-Nacht der Triologie im Schloss Griebenow.
Griebenow
Er beginnt zu lesen, während ein milchiger Schein der kleinen Leselampe sein Gesicht bescheint. Wolfgang Koeppen, der berühmte Greifswalder Dichter, wäre am 23. Juni 96 Jahre alt geworden. Grund genug für die letzte Nacht einer Koeppen-Triologie im Schloss Griebenow.
Holtz liest Texte aus Koeppens Erstlingswerk „Tauben im Gras“. Zeitpunkt des Geschehens ist die Nachkriegszeit. Deutschland liegt in Schutt und Asche. Frauen schlafen mit Soldaten, Kinder entstehen. Auch Mischlingskinder, wie im Fall von Carla und dem Neger Odysseus. Sie hatte Sex mit ihm, mag die Konsequenzen aber nicht ertragen, will abtreiben und steht zwischen allen Stühlen. „Tauben im Gras“ verdeutlicht Koeppens kritische Bestandsaufnahme im Nachkriegsdeutschland. Mit dem Werk ist der Greifswalder Autor berühmt geworden.
Eindrucksvoll interpretiert Jürgen Holtz mit einer disziplinierten Stimme die Textpassagen. Die Zuhörer sind begeistert. Auch die Berliner Band „Schaftl Uftschik“ zieht mit ihrem Mix aus Klezmer und russischen Volksweisen viele in ihren Bann. Mit traditionellen Instrumenten wie Klarinette, Saxophon und Akkordeon füllen sie den Schlosssaal aus. „Sie hätten auch auf dem Rasen vor dem Schloss spielen können“, schlagen einige Gäste vor, denen die Musik im historischen Gemäuer etwas zu laut ist.
Ursula Schoene-Makus, die große Dame des Greifswalder Theaters, verzaubert danach mit frühen Koeppen-Texten. Abgerundet wird das Ganze um Mitternacht mit dem Film von Peter Goedel „Es war einmal in Masuren“. Die 1990 entstandene Dokumentation lebt durch Bilder von Orten, in denen Koeppen seine Kindheit verbrachte, zum Beispiel das ostpreußische Ortelsburg, heute Szczytno. Aus der Erinnerung kommentiert der Dichter: „Ich will nicht als Fremder in die Fremde kommen. Es könnte nämlich sein, dass der Heimkehrer seine Heimat nicht wieder erkennt. Viele Landstraßen führten nach Ortelsburg oder von Ortelsburg weg. Es sind Alleen alter Bäume, Traumpfade, Wälder und Seen aus dem Märchenbuch, jetzt für mich.“ Ein Blick aus dem alten Beamtenhaus, in dem Koeppen damals lebte, erscheint ihm so wie immer, nur dass jetzt andere Kinder die Kinderspiele aufführen.
Die Zuschauer sind völlig in der Situation gefangen und genießen die dritte und letzte Koeppen-Nacht und dürfen jetzt auf andere Koeppenveranstaltungen gespannt sein.
BIRGIT SCHNIBBEN