Vom Weltgeist verfolgt
Er schrieb für die DDR , doch seine Stücke hatten Erfolg in ganz Deutschland – zum Tod von Peter Hacks
Von Kerstin Decker
Peter Hacks, vielleicht Deutschlands letzter Klassiker, ist tot. Aber gibt es das überhaupt: einen schon zu Lebzeiten halb vergessenen Klassiker? Der Dichter starb am Donnerstag nach langer Krankheit in seinem 76. Lebensjahr in Berlin. Er erfuhr noch alle Ehren, die einem Klassiker gebühren. Nur Klassiker bekommen Gesamtausgaben. Er hielt die seine im März in den Händen. Fünfzehn Bände, sorgfältigst ediert, 5000 Seiten, im Eulenspiegel-Verlag. Peter Hacks bekam eine Festschrift mit der Widmung: "Dem Genie zum Dank, dem Mann zum Gruß!" Solche Tonlagen sind selten geworden in unserer Zeit. Sie wirken leicht befremdlich. Und das war vielleicht auch die Tragik dieses letzten deutschen Klassikers: er wirkte zuletzt vor allem befremdlich.
Vielleicht muss man einen Peter Hacks-Nachruf in zwei Teilen schreiben, einem längeren, der die schon nicht mehr selbstverständliche Verbindung des Klassikers zu seiner Zeit herstellt, und einem kürzeren, der fragt: Was bleibt? Denn das darf man bei Klassikern wohl voraussetzen: Irgend etwas bleibt immer.
Peter Hacks sah sich als eine Art Praeceptor Germaniae, vermutete einmal Heiner Müller. Menschen mit einem solchen Vordenkerbewusstsein haben es nicht leicht im Leben. Auch Müller hatte es nicht leicht neben Hacks, denn Müller studierte nie, Hacks aber hatte in den "Maßgaben der Kunst", seiner Grundlegung einer materialistischen Ästhetik, verfügt: "Der Künstler, so die fast ausnahmslose Regel, ist der akademische Künstler." Vielleicht war Hacks auch der letzte durch und durch akademische Dichter; außerdem war er Dramatiker – einer der meistgespielten, Poetologe, Politiker, Philosoph, Kinderbuchautor, Dramaturg und ein bedeutender Antiquitätensammler. Seine Tassenkollektion war berüchtigt.
Weltgeister sind universal, und Hacks' Perspektive auf die Dinge war die Weltgeistperspektive. Die Menschen, die Hacks am nächsten standen, waren Goethe und Hegel. Auch Weltgeistern muss man zeigen, wo es langgeht, dachte der junge Peter Hacks und ging – geboren 1928 in Breslau, aufgewachsen im Ruhrgebiet – nach seinem Münchner Studium 1955 in die DDR. Lange hatte er gehofft, der Weltgeist würde ihm folgen. Als sich die DDR 1961 einmauerte, befand sich Hacks gerade in einem DDR-Erholungsheim für Künstler und Kulturschaffende und bewahrte als einziger kühle Fassung. Die Schritte des Weltgeistes hören eben nur Berufene.
Klassiker sind niemals subversiv. Nicht, weil sie nicht wollen, sondern weil sie nicht können. Das ergibt sich aus ihrem eigentümlichen Verhältnis zu den Tatsachen. Der Klassiker Hegel hat dieses Verhältnis einmal klassisch beschrieben: Was wirklich ist, ist vernünftig; was vernünftig ist, ist wirklich. Insofern fand Hegel den preußischen Staat sehr vernünftig, Hacks wiederum die sich immer weiter einmauernde, das heißt immer wirklicher werdende DDR. Darum war es schon immer ein großes Missverständnis, im frühen Hacks einen Dissidenten zu sehen. Obwohl seine beiden ersten Uraufführungen in der DDR, "Die Sorgen und die Macht" (Regie: Wolfgang Langhoff) und "Moritz Tassow" (Regie: Benno Besson), den Mächtigen wirklich Sorgen machten.
Doch was Hacks ausspielte, war nur die Überlegenheit der Weltgeister. Er nannte die DDR einen sauren Apfel und die BRD einen faulen. Er hatte es nicht nötig, geliebt zu werden. Gefürchtet zu werden, war viel besser. Klassiker und Weltgeister muss man fürchten. Ein Klassiker weiß alles und kann alles. Diesen Eindruck machte er auf fast alle. Die deutsch-deutschen Bühnen beugten sich der Wucht dieses Talents und machten ihn für einige Jahre zum präsentesten deutschen Autor. Vielleicht ist ein Klassiker in unklassischen Zeiten immer am besten als Nach-Folge-Dichter der Klassiker – so schrieb er Aristophanes' "Der Frieden" einfach noch einmal neu, und es wurde eine Theaterlegende mit Fred Düren am Deutschen Theater. Mit dem deutsch-deutschen Erfolgsstück, "Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe", erreichte Hacks den Zenit seines Ruhmes.
Dann kam das Ende von Heiner Müllers Freundschaft mit Hacks. Müller hat es selbst beschrieben. Plötzlich sagte man nicht mehr: "Müller, der nach Hacks bedeutendste…", sondern: "Müller, der neben Hacks…" Das war das erste, so Müller, "dann fiel der Name Hacks ganz weg, und dann war es aus."
Aus war es auch wegen Wolf Biermann. Hacks befürwortete, dass man so einen (hatte er eigentlich eine Universität besucht?) außer Landes wies. Biermann hat bei Heinrich Böll, dem "Herbergsvater für dissidierende Wandergesellen" übernachtet, schrieb Hacks damals in der "Weltbühne", und zwar in Solschenizyn Bett: "Und ich hoffe, er hat nicht noch Solschenizyns Läuse darin gefunden." Dieser Satz machte Hacks einsam. Er sprach in der DDR eigentlich für niemanden mehr, einen kleinen Kreis von unbeugsamen Stalinisten ausgenommen. Und jeder hatte das jetzt gehört. Hacks erkannte aber nur, dass ihn sein Aufsatz mindestens eine Million kosten werde, sagt man. Weil man ihn im Westen nun wohl nicht mehr spielen werde. Genau so geschah es.
Dieser Satz steht auch für den Hacks'schen Humor, diese fast unerträgliche Mischung aus Hochmut, Spießer-Ressentiment und Akademismus.
In den letzten Jahren hatte sich Hacks vor allem dem Projekt einer Widerlegung der Romantik gewidmet. Ein rein akademisches Thema? Für Hacks war es von höchster Aktualität, und vielleicht hatte er recht. Romantische Weltgeister sind Unfug. Aber es war noch mehr. Die DDR hat Generationen von Romantikern hervorgebracht (Christa Wolf, Heiner Müller) und wer dort groß wurde, ist schon mal strukturell ein Romantiker: Diese irre Sehnsucht ins Offene als Grunderfahrung. Wie sollte Hacks der DDR das verzeihen?
Und jetzt der zweite Teil des Nachrufs: Klassiker sind klug, das macht sie lesenswert. Und manchmal war Peter Hacks sogar zu klug, um Peter Hacks zu sein. Dann war er beinahe ein gut getarnter Romantiker. Er hat wunderbare Kinderbücher geschrieben. Würden echte Weltgeister das tun?