Hacks wird siebzig und wir sehen sehr alt aus

Zum Geburtstag des Dichters, Dramatikers, Essayisten
VON ARMIN STOLPER

Der Münchener Drei Masken Verlag, der die Aufführungs- und Senderechte am dramatischen Gesamtwerk von Peter Hacks weltweit vertritt, hat zum 70.Geburtstag seines Autors ein Heft herausgegeben, das alle von diesem Dichter geschriebenen Theaterstücke Komödien, Schauspiele, Dramen, Historien, Farcen, Kinderstücke, Legenden, Trauerspiele, Lustspiele, Dramolette, Opern und Operetten insgesamt um die 50 enthält und uns wissen läßt, daß "mit mehr als 1 000 Inszenierungen und Sendungen seiner Stücke an den Theatern, durch die Fernseh- und Rundfunkstationen in aller Welt" Peter Hacks "einer der erfolgreichsten deutschen Dramatiker in der zweiten Hälfte die ses Jahrhunderts" sei. Diese Mitteilung, an der es nichts zu deuteln gibt, über die sich Theatermacher und Theaterbesucher nur herzlich freuen könnten, verweist aber auf einen Widerspruch, den der Freund dieses produktiven Dichters, Dramatikers, Essayisten, Verfassers mehrerer Kinderbücher keineswegs mit Verwunderung so doch mit äußerstem Mißvergnügen zur Kenntnis nimmt: der Widerspruch ist, daß Hacks, der das deutsche Theater so reichhaltig beschenkte und beschenkt, heute dafür mit schnödem Undank belohnt wird. Während sein früher Lehrer und Anreger Brecht, der einen Monat vor Hacks 70. den 100. Geburtstag durch eine übertrieben reichhaltige, wenngleich nicht immer gewichtige Darbietung seiner Werke "erlebte", wird mit dem dreißig Jahre jüngeren Hacks umgegangen, als sei er bereits seit einem Jahrhundert ein toter Hund, als krähe nach ihm kein Hahn mehr. Jedenfalls versuchen diesen Eindruck die Theater in dieser deutschen Republik den Leuten zu vermitteln und, wie ich sehe, mit nicht geringem Erfolg.

Natürlich freue ich mich, daß das Publikum in Köln und in Weimar, in Dresden und in Detmold, in St.Gallen und in Anklam die "Helena" und die "von Stein", die in Annaberg auch den "Geldgott" erleben darf, daß große Rundfunkstationen wie der WDR, der MDR, der SFB, der Bayerische Rundfunk und auch der ORF in Wien den Dramatiker Hacks in Hörspielproduktionen zu Wort kommen lassen, aber als was muß man es bezeichnen, wenn die renommierten, künstlerisch und finanziell vermögenden Theater in Berlin, Hamburg, München, Düsseldorf, Stuttgart, Leipzig, Cottbus in Wien und in Zürich diesen Autor aus ihren Spielplän en verbannt haben? Als Vergeßlichkeit, als Arroganz oder als absichtliches Beiseitetun eines Poeten, durch den das deutsche Drama nach Brecht zu einer Größe und Bedeutung gelangte, die sich in dichterischer Vollkommenheit, fabelstarker Aussagekraft und sprachlicher Schönheit ebenso niederschlägt wie in gesellschaftlicher Bedeutung?

Natürlich ist die letztere Vermutung die richtige, und sie hat, wie man sich denken kann, auch ihre schlechten Gründe. Als "Schaltjahr" für den bis dahin vielgespielten Dramatiker, der 1955 München verließ und seinen Wohn- und Arbeitssitz in der Hauptstadt der DDR nahm, ist unschwer das Jahr 1978 auszumachen. Damals erschien in der "Weltbühne" das Anti-Biermann-Pamphlet von Hacks, das ihm viele der freiheitlich gesinnten Intellektuellen darunter nicht wenige Theaterregisseure und Theaterintendanten im Osten wie im Westen schrecklich übelnahmen, und die seitdem so etwas wie einen Hacks-Boykott inszenierten, der wie vieles Böse, Dumme und Niederträchtige auch das Jahr 1989 überlebte, und nun, wie man sehen kann, erst recht seine Wirkung tut. Dabei spielt es keine Rolle, ob Hacks mit seiner in künstlerischer, menschlicher und politischer Hinsicht spottreichen Charakteristik Biermann Gerechtigkeit widerfahren ließ oder nicht ins kritische Visier hatte er ihn schon seit 1960 genommen , es wurde ihm nur übelgenommen und dies auch von seinem früheren Freund Heinar Kipphardt , daß er dem von der Partei gebeutelten und von der DDR ausgewiesenen Wolf Biermann zusätzlich noch einen Tritt in den Hintern verabreicht hatte. Dies alles geschah in einer weitaus umgänglicheren Art, als später Hrdlicka Biermann und Biermann seine Gegner behandeln sollte. Aber Hacks hatte den Anfang gemacht und damit in den Augen vieler einen schrecklichen Fauxpas begangen, der ihm die offene Verurteilung vieler Theaterleute und die heimliche Belobigung durch die Vertreter des Ausweiserstaates einbrachte.

Für viele war der Vorgang im höchsten Grade merkwürdig auch deshalb, weil sich der Dissident aus der BRD in der von ihm favorisierten DDR durchaus nicht einer uneingeschränkten Würdigung seiner dichterischen Verdienste gegenübersah ganz im Gegenteil.Hatte sich Wolfgang Langhoff, der Hauptregisseur an dem von ihm geleiteten Deutschen Theater in Berlin, auch mit größtem Engagement und künstlerisch überzeugenden Resultaten für den Verfasser der "Schlacht bei Lobositz", des "Columbus", des "Müller von Sanssouci" eingesetzt später auch Benno Besson, der die sensationelle "Frieden"-Inszenierung zu verantworten hatte , der Widerspruch aus den Reihen der Kulturbürokratie, von Kritikern großer Tageszeitungen, von Gewerkschafts- und Parteifunktionären, auch The aterwissenschaftlern, die ein parteitreues und tagespolitisch nutzbares Theater forderten, war unüberhörbar, der sich dann bei den zeitgenössischen Stücken "Die Sorgen und die Macht" und "Moritz Tassow" bis zu öffentlich geführten Auseinandersetzungen und vorzeitigen Absetzungen hin erstreckte. Beide mit diesen Stücken verbundenen Kampagnen habe ich als Dramaturg miterlebt und mich beim Kampf um die Erhaltung der Aufführungen am Deutschen Theater und an der Volksbühne auf der Seite der Hacks-Freunde und somit auf der der Verlierer befunden. Hacks aber, der allen Grund gehabt hätte, Walter Ulbricht und seinen Genossen zu zürnen, ließ sich trotz der gegen ihn getroffenen, gewiß nicht von übermäßiger Klugheit zeugenden Entscheidungen nicht auf die Seite der DDR-Dissidenten schieben.Und als später wir lebten bereits in der Honekker-Zeit der Aufbau Verlag den Band "Die Gedichte" vorbereitete und es Zoff wegen der Verse gab, welche die staatsmännische Klugheit des ehemaligen Spitzenpolitikers erinnerten, blieb Hacks dennoch seinem "Dörfchen, das heißt DDR" treu, kritisierte er weiter dessen Kleingeist in Alltags- und anderen Dingen, lobte aber sein Eingebundensein in die große Sache, die "im siebzehner Jahr" begonnen hatte und trotz ungünstiger Voraussetzungen und widriger Umstände sich tbare Fortschritte machte.

1983 in der "Butzbacher Autorenbefragung" hat Hacks gemeint, "daß ein Schriftsteller, wie jeder Mensch, unvollständig und verkümmert ist, wenn er versäumt, sich politisch zu verhalten. Schlicht gesprochen, ich glaube, ein verantwortlicher Bürger des 20. Jahrhunderts sollte Kommunist sein und als solcher handeln". Dieses Bekenntnis zum Kommunismus, freilich in der Ausprägung des Individuums, das ein Dichter ist und Hacks heißt, der Rosenkranz, mit dem er seine Poesien schmückt, ist und bleibt ein Verbrechen in den Augen der Blinden und Halbsehenden. Vielleicht würde man es ihm weniger übelnehmen, wenn er inzwischen seiner Überzeugung untreu geworden wäre und heute das Gegenteil von dem sagen würde, was er gestern für richtig hielt. Aber nein, dieser schlesische Dickschädel Hacks ist gebürtiger Breslauer schreibt auch 1994 noch: "Es gibt nur zwei Parteien , die des Imperialismus und die des Sozialismus (und der Satz würde auch an dem Tag nicht aufhören wahr zu sein, an welchem China, Kuba, Vietnam und Nordkorea ins Meer gesprengt oder der Weltbank unterstellt wären)."

Zur Vertreibung aus dem Paradies der theatralischen Wohlstandsgesellschaft, in der die Schaubühne längst zu einer unmoralischen Anstalt verkommen ist, gehören aber mindestens zwei Sündenfälle, derer man sich schuldig machen muß, und Hacks ist auch den zweiten nicht schuldig geblieben. Er betrifft seine Sicht aufs Theater, seine Forderungen an dasselbe und an die, die auf ihm agieren, aber auch und vor allem die Art der Stükke, die er für spielenswert hält. Auch hier befindet sich der Dramatiker im schroffen Gegensatz zur herrschenden Theaterkamarilla und dem Ungeist, den sie durch ihre Art des Theatermachens verbreitet. Schlicht und sinnig bezeichnet er sie in seiner "Theaterrede" als "Gesindel, Henkers Brüder und Abdekkers". Gern nähme er die Beschimpfung zurück, wenn er Näheres von ihren Verdiensten in Erfahrung bringen würde. Aber bis dahin bleibt, leider, "Daß den Theatern Deutschlands, entscheidend noch/ Bei mir sich durchzusetzen mißlungen ist". Diese Haltung von Hacks dem Theater gegenüber sowie seine durch Stücke und sie begleitende Essays belegte und bewiesene Ansicht, wie Theaterstücke verfaßt sein sollten, ist nicht neu; schon in der DDR, als man auf den Brettern, die die Welt be- und mißdeuten können, " mit absonderlichen Sprüngen/ Dem Shakespeare helfen und den Marx verjüngen" wollte, blieb Hacks den Klassikern treu oder besser: fand er immer mehr zu ihnen. "Shakespeare ist, was wir alle wollen und nicht können." "Immer mächtiger treibt s mich in den Goethe hinein." "Überhaupt ist es eine Aufgabe der marxistischen Kunst, das Christentum vor den Christen zu retten." In seiner Treue den Klassikern gegenüber wurde Hacks Stück für Stück selber zu einem solchen, und zwar zu einem sozialistischen. Im Unterschied aber zu den nicht mehr lebenden konnte er sich wehren gegen die Unzucht, welche die etablierten Theater von wenigen Ausnahmen in der Vergangenheit abgesehen, die er bei einem Theatermann wie Wolfgang Langhoff bei der "Minna"-Inszenierung und vielleicht auch bei Heinz Hilpert in Göttingen ausmachte mit den Verfassern großer Dramen trieben. Er schrieb seine Stücke zunehmend in einer Weise, die es den herrschenden Regisseuren unmöglich machte, sie zu inszenieren, selbst wenn sie es gewollt hätten oder wollten. Hacks huldigt der veralteten Auffassung, daß ein Mantel wärmen, ein Stück Brot sättigen und ein Haus bewohnbar sein müsse. Im "Prolog der Münchener Kammerspiele zur Spielzeiteröffnung 1973/74" heißt die dritte der zehn Strophen: "Kurzum, wir halten zu den alten Moden,/ Das Wahre und das Schöne vorzuführen./ In unserem, mag sein, verstaubten Boden/ Hängt eine Weltgeschichte an den Schnüren./ Die tut uns not: zum Leben wie zum Dichten./ Nur wer Geschichte hat, hat noch Geschichten."

Also, die Sache ist sonnenklar: Hacks schreibt als Dichter, der sich ganz wie jeder andere Mensch auch, auf die Seite der Sieger schlägt, denn "Der Kapitalismus hat doch nicht die geringste Überlebenshoffnung", wie man in "Konkret" 3/98 lesen kann, und er schreibt Dramen und andere Theaterstücke, die sich mit den ernstzunehmenden großen Gegenständen der Kunst befassen; er lobt unverdrossen Staats-Klugheit, wo sie ihm in der Geschichte der Menschen begegnet, und er spottet über Staats-Schlaubergerei, welche die menschliche Gesellschaft durchzieht und verunstaltet von den asiatischen Formationen an bis heute. Ich habe vor einigen Jahren schon einmal den klaren Blick der Theaterleute gerühmt, die ein Stück wie "Jona" nicht aufführen, weil sie dem nicht gewachsen sind und dem Staat, dem sie dienen, einen Bärendienst erweisen würden. Es ist, wie ich lese, noch immer zur Uraufführung frei, genauso wie die Rußland-Trilogie "Bojarenschlacht", &q