Kein Dulden, bloß Dichten
Der große deutsche Dichter Peter Hacks ist nicht mehr auf dieser Welt, aber sein Werk
Detlef Friedrich
Das Knirschen der Knochen, wenn die Konterrevolution ihre Kinder frißt, ist das einzige heitere Geräusch in all dem Höllengejammer", notierte Peter Hacks zwei Wochen nach dem Mauerfall. Knapp drei Monate später wurde er Prophet: "Gysi hat von dem ganzen Verrat keinen Gewinn als Nachtschweiß und einen fürs Leben zerbrochenen Kreislauf. Die SED, die sich, um die Kommunisten zu entschärfen, nicht auflösen wird, wird zu spalten sein. Eine KPD wird sich in ein, zwei Jahren bilden, und an unseren Gräbern wird schon wieder die erste Schalmeienkapelle blasen."
Der Dichter Peter Hacks, 1928 in Breslau/Schlesien geboren, im Ruhrgebiet aufgewachsen, in München studiert und promoviert, 1955 aus Überzeugung vom besseren Deutschland und aus Verehrung für Brecht in die DDR gekommen ("der Heimat aller deutschen Schriftsteller"), ist schon jetzt gestorben, vor der Schalmeienkapelle, vorgestern Abend in seinem Haus in Groß Machnow in der Nähe Berlins an Krebs und, im Gegensatz zu seiner sich unerschüttert gebenden Selbstdarstellung, an der Zeit: "Mir ist im nachhinein absolut unverständlich, wie ein Mensch unter den Kapitalisten die Zeit hat finden können, außer zu dulden auch noch zu dichten. Die Kapitalisten sind Verbrecher, das wußte ich ja. Aber sie strengen so an."
Die Aphorismen der Selbstgewissheit, in Wahrheit der Verunsicherung, sind dem in diesem Jahr erschienenen Briefwechsel mit André Müller sen. "Nur daß wir ein bischen klärer sind" entnommen, einem schmalen Bändchen, dessen Pappeinband in dunklem Rot gehalten und mit unzähligen Hämmerchen und Sichelchen verziert ist. Dieses Buch ist neben den Stücken, Essays, Erzählungen und Gedichten, die er nach der Wende in nicht geringer Zahl schrieb und die wenig beachtet wurden, eine der letzten literarischen Äußerungen von Peter Hacks. Es enthält Auskünfte seiner Vereinzelung, vielleicht Vereinsamung, auch seiner Fähigkeit zur politischen Analyse in den Grenzen des gewollten Beharrungsvermögens. Was aber soll ein wahrer Dichter anderes tun, als beharren? Das ist ja der Unterschied zu Wolf Biermann, dessen Ausbürgerung Hacks 1976 unterstützte.
Dass es sich bei Hacksens abständig machenden Bemerkungen bloß um Scherz und Ironie ohne tiefere Bedeutung handelt, darf man nicht glauben, auch wenn das Buch im Eulenspiegelverlag, einem satirischen, früheren DDR-Verlag herauskam, in den Hacks Werk eigentlich wenig passt. So sah Hacks die Welt. So überstand er sie. Er hatte Feinde und Fans. Aus einer Festschrift zum 75. Geburtstag am 21. März dieses Jahres, in der Schriftsteller, Schauspieler, Freunde schrieben, erfuhr man, wie selbst Gleichaltrige den Meister tief verehren, doch meist, als wären sie Schüler und dürften sich ohne Aufforderung nicht nahen. Der Eulenspiegelverlag edierte, auch zum 75. Geburtstag, Hacks' Werk letzter Hand in fünfzehn Bänden, gab dem Autor, der auf der Suche nach verlegerischem Anspruch, Anstrengung und Gediegenheit war, eine Heimat. Viel zu verdienen wird unter den gegenwärtigen Umständen an einer solchen Kraftanstrengung kaum sein, aber die Ausgabe ist ein großes verlegerisches Verdienst, und Hacks konnte, anders als sein Lehrvater Brecht, schon zu Lebzeiten sein "klassisches Werk" vorlegen. Brecht war aus Anlass seines 100. Geburtstages 1998 durch überreichliche Präsentation vor allem seiner frühen Werke von seiner DDR-Schuld freigesprochen worden, durch bayerische Politikerreden in den deutschen Dichterhimmel expediert worden. Hacks lebende Uneinsichtigkeit wurde durch Schweigen erwidert. Sein Werk führt ein Eigenleben, es bleibt.
Dass dieser Herr mit den vorzüglichen Manieren, dem arroganten Tonfall, dem Kunstsinn eines Aristokraten, der Lebensweise eines Fürsten nichts mit der PDS zu tun haben wollte, wo die Funktionäre von einst hocken, die in der DDR seine Stücke beschnitten und verboten, die Herausgabe seiner Bücher hintertrieben oder auf die lange Bank schoben, in ihren ND-Artikeln klüger sein wollten und jedenfalls mehr Macht hatten, liegt auf der Hand. Hacks war nicht DDR, nicht SED, schon gar nicht PDS, er war ein deutscher Dichter, der dem Ideal anhing.
Das Ideal war der Sozialismus und die "Klassizität", damit war nicht allein seine Dichtung gemeint, sondern, populistisch ausgedrückt: das Wahre, Gute, Schöne sollte allen gehören. Peter Hacks, ein hoher Kopf in der Maske des Dandys, war so frei, sich selber Stalinist zu nennen. Auch sein Stalinismus war eine Maske, die Maske, hinter der ein verdrängter, abgeschobener, wehleidiger deutscher Dichter spottete, auf dass es kracht. Er wollte gehasst sein. Dieser unbeugsam eigensinnige Autor ist in der Mediokrität des nachwendedeutschen Kulturbetriebes verschlampt worden, weil in der Bundesrepublik Deutschland aussortiert wird, was sich nicht leicht einsortieren lässt. Das Dümmste, was Hacks noch angetan werden kann, ist ihn einen ostdeutschen Schriftsteller zu nennen. Er gehört zu den großen Dichtern, Dramatikern, Essayisten deutscher Zunge des 20. Jahrhunderts. Viele seiner Gedichte sind stilbildend. Seine Kinderbücher gehören zu den Kleinodien der modernen Literatur für Kinder.
Bis Mitte der siebziger Jahre war Peter Hacks ein viel gelesener Autor, er war der meistgespielte deutsche Dramatiker in Ost wie West. Das Stück "Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe" wurde von quasi jedem deutschen Theater aufgeführt. Rund 50 Theaterstücke, Komödien, Schauspiele, Dramen, Historien, Farcen, Kinderstücke, Legenden, Trauerspiele, Lustspiele, Dramolette, Opern und Operetten schrieb er. Mehr als tausend Mal wurden seine Stücke inszeniert. Seit 1960 war Peter Hacks Hausautor und Dramaturg am Deutschen Theater in Berlin. Er unterstützte den Mauerbau. Als er sich 1963 mit seinem Stück "Die Sorgen und die Macht" den Vorwurf einhandelte, die Alltagsrealität der DDR gegen seine sozialistische Utopie gesetzt zu haben, muss Hacks gehen, und der Intendant Wolfgang Langhoff gleich mit. Das Stück "Moritz Tassow", das die Kollektivierung der Landwirtschaft behandelt, wurde 1965 an der Volksbühne wegen "rüpelhafter Obszönität" vom Spielplan gestrichen. Es ist eine Ironie, dass Hacks Walter Ulbricht verehrte, dass er nach dem Untergang der DDR gar erklärte, der habe "mit dem Qualitätssturz von Ulbricht zu Honecker begonnen", sei "vollendet worden durch eine Übereinkunft zwischen Moskau und Washington".
Hermann Kant, ein anderes Beharrungsvermögen der Literatur und ein Ungelittener, sagte gestern, Hacks sei ein "Dichter von klassischer Größe" gewesen. Der Umstand, dass auch er selber dieser Meinung war, ändere nichts an deren Richtigkeit. Hacks habe "gegen Versuche, ihn seiner radikalen Ansichten wegen aus dem allgemeinen Bewusstsein zu vertreiben, ein radikales Selbstbewusstsein gestellt". Hacks' Werk werde "viele lange Leben leben".