Feuilleton  DER TAGESSPIEGEL / Seite 15  DIENSTAG, 28. SEPTEMBER 1993/ Nr.14690
 

Geld und Glück wie Hund und Katz
Peter Hacks zu DDR-Zeiten erfolgreich, zieht sich in eine Nische zurück: ,, Der Geldgott" nach Aristophanes am Theater Greifswald uraufgeführt
 

Eine neue Komödie von Peter Hacks im alten Stil: Der Geldgott nach Aristophanes. Die Uraufführung am Theater Greifswald fand in Abwesenheit des Autors statt. Seinen Segen hatte er Ihr im voraus gegeben und eine Beschwörung dazu: Gott bewahre die Weil vor Stücken, die nur aufs hauptstädtische Staatstheater passen. Er möchte solche nicht geschrieben haben. Die andere Möglichkeit, daß seine Lustspiele nur noch in Vorpommern laufen, läßt er offen. Seit dem Ende der DDR betrachtet er sich als verbannt und verboten. Wahr ist, daß Berlin ihn boykottiert. Weder das Deutsche Theater noch das Maxim-Gorki-Theater stehen zu ihrer Hacks-Tradition. Der Kassenmagnet kam zum alten Eisen, ein Opfer der verwandelten Zeit. Von ihr handelt "Der Geldgott", anberaumt auf dem Lande nahe der Kapitale am grünen Rand der Metropole Athen.

Der Töpfer Chremylos lernt die Umwertung von Politik und Wirtschaft, Moral und Geschmack kennen, die Umstellung von Cash auf Kredit. Er investiert in die Geldbeschaffung seine gesamte Existenz, seinen Handel und Wandel ebenso wie sein  Handwerk und seine Kunst, sich selber und seine Fifine. Der ehemals freischaffende Mensch verschreibt sich der Bank, die in Gestalt einer geilen Bürgerin scharf ist auf den ganzen Mann. Und so sitzt er nun in der Falle: der scheinreiche Chremylos, ein Opfer des Spätkapitalismus, betrogen um Leib und Seele, Liebe und Glück.
 Hacks heute ist Selbstbetrachtung im Rückspiegel. Der frühere Favorit, ausgeschieden aus dem Wettbewerb und der Konjunktur, dreht seine letzten Runden auf einer stillgelegten Aschenbahn. Seinen Rennern von einst wird nachgesagt, sie seien nur Mitläufer gewesen, fix, flott und risikolos bei ihrer Karriere rund um das Drama der Diktatur. Die frozzelnde Meisterschaft hat mit der Aktualität ihren Charme verloren. Der gewandelte Geschmack rümpft über den Witzbold die Nase: immer nur Anspielungen, aber kein Affront, mehr Maulaffen als Nägel mit Köpfen, immer nur Wörterzunder, aber kein wahres Wort; alles nur Posse. Man verübelt ihm, daß er sein Metier beherrschte, legt ihm seinen Erfolgreichtum zur Last und wirft ihm vor, daß er beim Publikum ankam. Die Kritik, die ihm nicht verzeiht, daß er sie zu seiner Zeit um den Finger gewickelt hat, ließ sich jetzt auf sein Greifswalder Comeback gar nicht erst ein.
Er selber geht in seinem Geldgott-Drama so weit, sich das Parkett menschenleer vorzustellen, reduziert auf einen Besucher, so daß die Welturaufführung, von der Bühne aus betrachtet, zur One-Man-Show wird, zur Darbietung für den einsamen Herrn in der ersten Reihe. Was damit gemeint sein mag, eine persönliche Depression oder die allgemeine Misere, überläßt er der Mutmaßung. Hauptsache der Solist belebt das Parkett: Herr Khor, wie der Autor ihn vielsagend nennt, als die Stimme des Volkes, repräsentiert voll dem letzten Theatergänger im deutschen Raum. Das Greifswalder Publikum machte und lachte bereitwillig mit. Die gut besuchte Premiere widerlegte den Schwarzseher Hacks. Und die Inszenierung unter Manfred Dietrichs Regie trat der verbreiteten Ansicht über Vorpommern als Hinterland energisch entgegen. Die Staatsbühnen in der Hauptstadt könnten sich vom  Theater Greifswald ein Stück abschneiden, vorausgesetzt, ihnen steckte das Messer nicht in der eigenen Brust.
Der Witz besteht im Wiedersehen. Alles ist schon immer dagewesen: vom Geldgott namens Pluto, dem Oberbankier, bis zu seiner Mutter namens Fortuna, vom Lebenskünstler Chremylos und seiner Gefährtin bis zu dem Gegenpaar, dem lüsterner Geizhals und der alten Schlampe, und von den Frivolitäten bis hin zu der Moral, daß Geld und Glück zusammenpassen wie Hund und Katz. Nichts Neues unter der Sonne und keine Sensation im Scheinwerferlicht außer der Erfüllung der maximalen Behauptung, daß drei Bretter, über vier Fässer gelegt, ausreichen, um die Welt zu bedeuten. Was nicht nur die Ausstattung meint, Bühnenbild und Kostüme von Andreas Bartsch, das bißchen Altertum aus Rupfen und Pappe für den Vorort von Athen und die Götterkleider aus Schokoladenpapier, sondern die Fasson insgesamt, den Zuschnitt ohne Übertreibung, die unverfrorene Machart, das leichtgeschürzt Genre und die Antike auf jungen Fußen.
An Jugend ist im Ensemble kein Mangel und auch nicht an Schönheit. Sie wird von der Liebessklavin Fifine, Bärbel Jogschies als dem unverhurten Ding, ebenso zärtlich verkörpert wie von Fortunas Tochter Paupertas, der blutjungen Göttin der Armut in Gestalt einer kostbar keuschen Elevin namens Rose Marie Fischer; und sie schließt weder die Matrone auss, das göttliche Glücksweib, dargestellt von Petra Fritsche, noch die reiche Alte, Gabriele M. Püttner auf runzlig getrimmt. Mit dem schönen Geschlecht  kooperieren  die Maulhelden, der Töpfer Chremylos, gut handwerklich besetzt mit Lutz Jesse, der Lüstergreis, dem Rolf Döhnert eine nüchterne Komik verleiht, der Opponent im Parkett, Jörg Fichter als Publikumsvertreter, und über allen die Titelfigur, Harro Korn als der Gott der Finanzen, anfangs ein blinder Krüppel und nach der Wende, unserer berüchtigten Metamorphose, eine gleißende Erscheinung, Pluto, der den Werktätigen alter Schule die Neuzeit beibringt. Denn das ist die Botschaft: Verpackung und Vermarktung. Hacks wörtlich: "Den Umweg über die Ware macht die moderne Wirtschaft nicht mehr". Ein solcher Aufwand, sagt der Dramatiker, wäre nicht nur Verschwendung, sondern auch ein unverantwortliches Risiko. Und so verrät er uns sein eigenes Erfolgsgeheimnis: alles Theater, alles nur Schein.
Die Stoffe sind unverwüstlich, Geld, Sex, Politik, etwas Liebe, ihre Mischungen sind unerschöpflich, und dlas Drama ist, so gesehen, Nebensache. Sein Schöpfer bezeichnet es gern als Dramolett, als ein Büchlein oder schlicht als Libretto. Und so bleibt er auch als gealterter Leichtathlet seiner Liebe treu. Sie zielt nicht auf Hamlet und schon gar nicht auf die Hamletmaschine, sondern auf das Plagiat original. Die Hoffnung, das abgewrackte Fin de siecle noch einmal aufzutakeln, hat Hacks sich abgeschminkt und die Illusion begraben, das gestrandete Theater wieder flott zu machen. Greifswald gebührt das Verdienst, diese Mitteilung anmutig überbracht zu haben.                                                                                                     SIBYLLE WIRSING